Special: Der große Fußballvergleich (Sport)

von Jörg Luibl



Der große Fußballvergleich: PES 2017 vs. FIFA 17

In drei Teilen werden wir den virtuellen Fußball
von Konami und EA vergleichen. Wir starten mit
Präsentation & Atmosphäre, es folgen Figurenverhalten
sowie Umfang und wir finalisieren den Vergleich
mit der wichtigen Spielmechanik.

Zwischenergebnis Teil 1 + 2:
64
  76


Teil 3: SPIELMECHANIK (PES : FIFA)
Spielaufbau
PES spielt sich hervorragend. Es fühlt sich in den Animationen weicher, in den Kollisonen klarer, im Figurenverhalten intelligenter, in der Ballphysik authentischer, weil fehleranfälliger, und im Spielablauf noch runder an. Das äußert sich vor allem in der angenehmen Balance zwischen Ballbesitz und Umschaltspiel bei hohem Tempo. Zwar vermisst man Neuerungen in der Steuerung, aber dafür sorgen die neuen Taktiken dafür, dass man viel mehr Einfluss auf den Spielaufbau hat und diesen auch kurzfristig ändern kann, was sich spürbar auf die vielfältigen Laufwege auswirkt. Was man vermisst: Ein Regulativ für das sehr starke Gegenpressing, das zu schnell zu Ballverlusten führt - man kann die Pille mit dem Körper nicht schützen.

FIFA 17 spielt sich auch richtig gut, aber erreicht nicht die Vielfalt im Spielaufbau, wirkt immer noch etwas zäh im Mittelfeld und im Passspiel. Aber im Gegensatz zu PES bietet es ein neues Steuerungselement, das sich spürbar auswirkt: das manuelle Abschirmen. Man kann auf Knopfdruck den Körper zwischen Ball und Gegner stellen, um sich auch in bedrängten Situationen etwas Zeit für Dribbling oder Pass zu verschaffen. Das bereichert das Spielgefühl gegenüber FIFA 16 deutlich, sorgt auch für Tempowechsel und bildet einen wichtigen Teil des realen Fußballs ab. Aber das Abschirmen ist aktuell auch so mächtig, dass man es teilweise unrealistisch lange und für Zeitspiel missbrauchen kann.

Taktiken & Formationen
PES steigert auch dieses Jahr sein taktisches Potenzial: Die erweiterten Taktiken wirken sich auf Knopfdruck spürbar auf den Spielaufbau aus und ermöglichen eine Art "Auscoachen". Man kann mit sieben offensiven und fünf defenisven Manövern wie tiefe Abwehrreihe & Co experimentieren, bis zu vier kombinieren und z.B. Gegenpressing mit weiter Staffelung und Tiki-Taka kontern. Wer "Weit nach außen" und "Offensiver Außenverteidiger" aktiviert, der dann auch hinterläuft, wird sehr mächtig auf den Flügeln. Zusammen mit den flexiblen Taktiken aus dem letzten Jahr ist PES 2017 ein komplexes Biest für Trainer.

FIFA ist im taktischen Bereich klar unterlegen. Es hat zwar über 30 mögliche Aufstellungen von 5-3-2 bis 4-3-3 zu bieten und taktische Anweisungen für das Team sowie jeden einzelnen Spieler, aber all das wirkt sich nicht immer spürbar auf dem Platz aus. Man kann die Tektonik des Spielaufbaus und die Laufwege nicht so sichtbar verändern, dass sich umgehend neue Passoptionen ergeben. Hier reicht es, sein Team defensiver oder offensiver einzustellen.

Pässe und Flanken
PES bietet keine neuen Pass-Möglichkeiten, aber ein sehr gutes Fundament vom scharfen Zuspiel bis zur frühen Hereingabe. Man kann neben diversen Flanken aus dem Halbfeld oder von der Strafraumgrenze auch gezielt sehr hohe Flanken schlagen, um Kopfballspieler zu bedienen. Man kann Kurzpass-Stafetten einleiten, tödliche Pässe in die Spitze oder scharf in den Rücken der Abwehr spielen, dazu jederzeit manuell in alle Richtungen passen.

FIFA hat den neuen präzisen Steilpass in petto - und der hat es in sich: Drückt man die Schultertaste plus Dreieck, wird der Ball z.B. tödlich in die Schnittstelle der Viererkette gespielt oder fast schon chirurgisch genau in den Lauf des Stürmers. Hinzu kommt der stramme Kurzpass aus dem letzten Jahr, allerdings versackt der Ball immer noch oft im Mittelfeld, man vermisst mehr Möglichkeiten bei hohen Flanken und manche Flankenwechsel brauchen gefühlt ewig, weil der Ball zu lange in der Luft ist.

Schüsse
PES bietet keine neuen Schussoptionen, aber hat den Schlenzer bzw. präzisen Schuss sowie die Freistöße in der Flugkurve etwas entschärft. Sprich: Man kann nicht mehr so leicht einnetzen wie in PES16, was dem Spiel gut tut. Ansonsten hat man vom Vollspannschuss bis zum Volley oder Flatterball viele Möglichkeiten.

Letzteren bietet FIFA zwar nicht, hat aber etwas Neues im Angebot: Man kann Schüsse über das erneute kurze Drücken der Schusstaste gezielt in Flachschüsse verwandeln. Aber die gibt es praktisch auch schon lange in PES, wenn man das manuelle System nutzt und man vermisst immer noch allgemein mehr Wucht in den Schüssen - gerade bei Direktabnahmen.

Kopfbälle
In beiden Spielen kann man vom wuchtigen Kopfball nach Ecken oder Flanken bis hin zum akrobatischen Flugkopfball alles sehen, aber nur in FIFA gibt es eine zusätzliche Steuerungsoption: Wie beim Schuss kann man durch das erneute Drücken der Taste die Flugkurve ändern, so dass der Kopfball zum Aufsetzer wird. Nutzt man in PES das manuelle System kann man allerdings auch nach unten köpfen.

Tacklings
Konnte man in PES 16 noch einige künstlich wirkende Übergänge in den Zweikämpfen sehen, wirkt PES 17 deutlich weicher und im Vollkontakt mit seinen Stürzen authentischer. Aber spielmechanisch hat das Gerangel um den Ball keine Fortschritte gemacht. Auch in FIFA 17 werden die Zweikämpfe sehr ansehnlich inszeniert, zumal hier wie letztes Jahr das Ziehen am Trikot cool aussieht und in seiner Stärke dosiert werden kann sowie die einmal eingeleitete Grätsche abbrechbar ist und man weiterlaufen kann. Da wir das neue Abschirmen des Balles mit seinem Körperkontakt auch unter "Tacklings" verbuchen, weil der Verteidiger sich mit dem Analogstick ausrichten und mit seinem Körper wegdrücken kann und der Angreifer darauf reagieren kann, hat FIFA 17 hier die Nase vorn.

Dribblings
PES bietet in der Steuerung der Dribblings oder der Ballführung leider gar keine Neuerungen an, also lediglich das bekannte Repertoire von Elastico, Sombrero bis Roulette, das man erneut nicht siuativ üben kann. FIFA bietet auch viele Finten, darunter die "No Touch Dribblings" und Körpertäuschungen aus dem letzten Jahr. Zudem kann man das neue Abschirmen als einleitendes Manöver für oder sogar selbst als Dribbling nutzen, wenn man sich damit z.B. einmal um den Gegner dreht.

Standards
Es tut sich was in PES: Man kann sich an der Eckfahne über das Steuerkreuz für vier Varianten wie z.B. den "D-Zug" entscheiden, der dafür sorgt, dass sich die eigenen Spieler erst an der Strafraumgrenze sortieren und dann alle mit vollem Tempo hinein stürzen. Und man kann als Verteidiger drei Gegenmaßnahmen ergreifen, indem man Manndeckung, Raumdeckung oder eine Kombination aktiviert. Bei den Freistößen gibt es lediglich kosmetische Änderungen, außerdem sind Treffer aus dem ruhenden Ball etwas schwerer.

FIFA hatte hier immer das reichhaltigere Repertoire, man konnte gezielt Läufe auf den kurzen Pfosten oder die Verwirrung des Torwarts einleiten und dynamischere Standards kreieren. Neu ist, dass man als Ausführender über ein Fadenkreuz den anvisierten Zielort des Balles festlegen kann, so dass auch im Vorfeld mehr Gerangel um die Stelle entsteht. Bei Freistößen kann man jetzt den Anlaufabstand ändern - ein Nachteil bleibt, dass Tore immer noch recht leicht zu erzielen sind. Das gilt nicht mehr für Elfmeter, die aufgrund neuer Richtungs- und Kraftabfrage etwas kniffliger zu verwandeln sind.

Ballphysik
PES bleibt hier klar vorne. Egal ob Pass oder Schuss, Abpraller oder Aufsetzer wirkt die Ballphysik griffiger und authentischer, die Kugel eher wie ein eigener Körper. Es gibt wesentlich mehr Variation in den Flugkurven und bis auf wenige Ausnahmen wie den manchmal etwas unrealistisch anmutenden Schlenzer mit seinem extremen Drall kaum künstliche Brüche. FIFA hat schon letztes Jahr vor allem bei den Schüssen gut aufgeholt, aber deutlich mehr Situationen zu bieten, in denen sich die Pille seltsam verhält. Immer noch hat man manchmal das Gefühl, dass der Platz abschüssig ist, weil der Ball ewig weiterrollt, oder dass ein Flankenwechsel von einer Brieftaube vollzogen wird, die einfach nicht landen will.

Zwischenergebnis Teil 3:
68
   58
Gesamtergebnis:
132
  134


Fazit:

Beide Spiele haben sich in unserer Wertung leicht verbessert, Pro Evolution Soccer 2017 auf 82% und FIFA 17 auf 84%.  Auch wenn PES im Test sowie in diesem Vergleich insgesamt das Nachsehen hat, bleibt man im wichtigen spielmechanischen Bereich zehn Punkte vorne, zumal man taktisch und hinsichtlich der KI überlegen ist. Aber Konami muss aufpassen, denn Electronic Arts hat den Abstand vor allem durch das neue Abschirmen ein wenig verkürzt, mehr frische Steuerungszusätze zu bieten und vor allem mit der neuen filmischen Karriere "The Journey" gepunktet, so dass man unterm Strich vorne liegt. Was bedeutet das für das nächste Jahr? Konami muss etwas in den stagnierenden Spielmodi tun und wird vermutlich auch eine Art Abschirmung des Balles integrieren, um das zu starke Gegenpressing zu kontern. EA wird das Abschirmen etwas abschwächen, seine gute Karriere ausbauen, muss die Ballphysik verbessern und wird hoffentlich mehr aus der Frostbite-Engine herausholen.

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Kommentare

Gemini:26 schrieb am
Das mit den Orgasmen solltest du nochmal nachlesen. Der erste wärst du definitiv nicht gewesen. :mrgreen:
billy coen 80 schrieb am
AkaSuzaku hat geschrieben:Der Krieg der Fanlager ist trotzdem unnötig, da beide Spiele auf ihre Weise gut, wenn auch vielleicht nicht herausragend sind.
Jup, absolut unnötiger Kindergarten.
Ob FIFA oder PES sehe ich völlig emotionslos. Vielmehr blicke ich zurück, wie es zu Zeiten ausgesehen hat, als ich mit dem ersten ISS für SNES zum aktiven Konsolenfußballer wurde (hähä, aktiv und Konsolenfußballer...; was ne paradoxe Wortverbindung). Das waren damals die Zeiten der Klinsmänner und Häßlers; die Zeiten, in denen besagte Spieler dafür gesorgt haben, dass dann 96 der Fußball WIRKLICH nach Hause gekommen ist (hrhrhr!!! :wink: ). Wenn mir da einer gezeigt hätte, in was für einer Qualität und in welchem (verglichen mit damals) Realismus ich das alles mal an Konsolen nachspielen können werde, egal bei welcher der beiden großen Serien, wäre ich wohl der erste Mann gewesen, der einen multiplen Orgasmus bekommen hätte.
Und das, was Fußball ausmacht, bieten mir beide Spielereihen in doch recht guter Umsetzung: Mitfiebern, sich aufregen über Schiedsrichterentscheidungen (ob berechtigt oder nicht spielt, wie im echten Fußball, eine untergeordnete Rolle) und natürlich das Bejubeln von Torerfolgen.
In den Neunzigern war ich noch Stammkunde bei Konami. EA bekam zwar auch die eine oder andere Mark von mir, aber ich war halt im Besitz eines N64 und da hatte FIFA neben den, in der Konsolengeneration übergreifend, überragend guten ISS-Fassungen einfach nicht wirklich was zu melden.
Dann zog ich ne Weile FIFA vor, weil mir das Gesamtpaket vom Umfang her eher zusagte. Da ich aber eher jemand bin der Offline spielt und auch sehr viel im SP, hat mich FIFA dann ab FIFA 12 ein wenig verloren. Ab da gefiel mir das Gefühl beim Spiel gegen die CPU nicht mehr so. Es fühlte sich einfach zu deutlich danach an, gegen einen Computer zu spielen, der sich in stoischer Ruhe und kalter Berechnung den Ball hin und herschiebt, kaum mal Fehler dabei macht und so jegliche Energie aus den Partien...
AkaSuzaku schrieb am
Erdbeermännchen hat geschrieben: Ich spiele eigentlich ausschließlich die offline Modi und da bietet mir FIFA einfach das bessere Gesamtpaket. :-)
Geht mir ähnlich. Ich spiele sonst noch Ultimate Team (natürlich ohne Echtgeld), das meiner Meinung nach nur mit vielen Lizenzen wirklich Sinn macht.
Der Krieg der Fanlager ist trotzdem unnötig, da beide Spiele auf ihre Weise gut, wenn auch vielleicht nicht herausragend sind.
Dennis4022 schrieb am
RVN0516 hat geschrieben:
AkaSuzaku hat geschrieben: Ist jetzt auch wirklich schon das x-te Mal in Folge, dass aus dem Duell kein eindeutiger Sieger hervorgeht.
PES finden dabei i.d.R. immer die besser, die eine "was zählt ist auf'm Platz"-Mentalität habeen.
FIFA jene, denen die Spielmodi mindestens genau so wichtig, wie das eigentliche Gameplay sind.
Es beides ja auch keine schlechten Spiele. Da hat jedes seine Stärken und schwächen.
Ich spiele FIFA schon fast seit dem ersten Teil und habe mich auch an PES versucht, kam damit aber überhaupt nicht klar.
Ich habe eher ein paar FIFA übersprungen als zuwechslen.
Eine erfrischend nüchternde Ansicht, am Ende ist es nämlich tatsächlich so, dass es keine allgemein gültige Aussage zu dem Thema gibt. Wenn jemand mit Fifa mehr Spaß hat, dann ist dagegen überhaupt nichts zu sagen. Beide Spiele haben ihren eigenen Charakter und nicht jeder kommt mit beiden klar.
Ich bin für mich froh, dass ich einfach jedes Jahr beide Demos spielen kann und dann einfach zu dem greife, dass mir am besten gefällt. Aber auch das funktioniert nicht für jeden.
Am Ende sollten wir alle froh sein, dass wir zumindest beim Fußball die Wahl haben. Ist ja in anderen Sportarten leider nicht (mehr) der Fall.
Jörg Luibl schrieb am
Okay, aber ehrlich gesagt haben wir uns bei dieser Kategorie auch nicht auf die KI in Standarsituationen konzentriert, sondern eher auf die Möglichkeiten der Hereingabe etc. Hätten wir vielleicht unter Defensiv-KI mit unterbringen müssen...
schrieb am